Vor kurzem war es wieder soweit. Muttertag – der Tag, um den Müttern dieser Welt zu danken, an sie zu denken, ihnen all das an Wertschätzung, Liebe und Dankbarkeit entgegen zu bringen, was das Herz zu bieten hat. Oder besser gesagt, das schlechte Gewissen oder der auferlegte Zwang, genau an diesem Tag alles darzureichen, was man zu bieten hat.
Der Mutter- und auch Valentinstag sind aus meiner Sicht genau zu diesen Zwecken da: die Wirtschaft ordentlich anzukurbeln und das über das ganze Jahr verteilte schlechte Gewissen zu beruhigen. Da werden Liebe, Liebe, Liebe gestreut, Geschenke gemacht, Worte voll des Lobes an Mütter und Liebende gesagt. Hoffnungen werden geweckt. Hoffnungen auf ein „vielleicht ändert sich ja was“, „vielleicht denkt man auch unterjährig öfter an mich“ werden geschürt und wahrscheinlich genauso oft enttäuscht.
Was das mit Mitarbeiterjahresgesprächen zu tun hat? Die Sache ist ganz einfach. In den meisten Unternehmen finden diese auch nur einmal im Jahr statt. In diesen Termin, oft nur kurz angesetzt, wird alles reingepackt, wofür es in den anderen 364 Tagen keine Zeit gab. Erwartungen werden geschürt oder enttäuscht, Feedback und Lob fallen meist oberflächlich aus, Ziele werden eindimensional vereinbart und es gibt nichts Wichtigeres, als dass diese Mitarbeiterjahresgespräche durchgeführt werden.
Macht man eben. Ist ja wieder dran. Ist ja Muttertag, da kauft man Blumen.
Ich arbeite seit vielen Jahren mit Führungskräften auf allen Ebenen und leider begegnet mir oft eine negative Haltung gegenüber den Mitarbeiterjahresgesprächen. Sie werden als Last empfunden, als überflüssig, weil sich im Nachgang doch sowieso nichts verändert. Die Notwenigkeit und der Sinn werden oft nicht erkannt. Geschweige denn die Chancen, die ein gut geführtes Mitarbeiterjahresgespräch mit sich bringen kann.
Wenn wir uns nur einmal im Jahr mit echtem Interesse Zeit für unsere Mitarbeitenden nehmen, dürfen sich Führungskräfte nicht wundern, dass diese Gespräche kein Vertrauen und keine nachhaltige Veränderung nach sich ziehen.
Denn Zeit für Mitarbeiter sollten Führungskräfte jeden Tag im Jahr haben (Urlaub, Wochenende und Feiertage ausgenommen). Genauso wie eigentlich jeder Tag im Jahr Zeit ist, unseren Müttern zu sagen, wie sehr wir sie lieben und schätzen. Das Mitarbeiterjahresgespräch kann nur ein zusammenfassendes Element sein aus den Komponenten, die schon das ganze Jahr über mit den Mitarbeitenden be- und erarbeitet wurden.
Der Erfolg dieses Gespräches steht und fällt mir Ihrer Einstellung dazu. Sehen Sie es als weiteres Übel, dann wird es auch genau diese Wirkung auf Ihre Mitarbeitenden haben. Sehen Sie es aber als wertschätzenden Austausch, in dem beide Seiten die Möglichkeit haben in einen offenen Dialog zu gehen, werden Sie feststellen, wie verbindend diese Art von Gesprächen sein kann.
Darüber hinaus möchte ich Ihnen empfehlen, unabhängig von einem verpflichtenden Mitarbeiterjahresgespräch, auch unterjährig regelmäßig mit Ihren Mitarbeitenden zu sprechen, Feedback zu geben und einzuholen, den Entwicklungsstand abzufragen, ein offenes Ohr zu haben, Ihre Erwartungen transparent zu erläutern und Vertrauen zu schenken. Das gehört zu einer guten und zeitgemäßen Führung schlicht und ergreifend dazu.
Wenn wir in der heutigen Zeit von moderner Führung sprechen, dann sprechen wir im gleichen Atemzug von mitarbeiterorientierter Führung. Diese Art der Führung gelingt Ihnen nur, wenn Sie Ihre Mitarbeitenden umfassend verstehen, sich auf Sie einlassen, um Ihre Stärken und Charaktereigenschaften wissen, über die Maßen kommunizieren.
Das alles gelingt Ihnen nicht mit nur einem, oft halbherzig geführten, Gespräch pro Jahr. Sondern in einem immerwährenden, zeitnahen und wertschätzenden Austausch.
Sehen Sie das Mitarbeiterjahresgespräch als etwas Besonderes und nehmen Sie es zum Anlass, die Weichen für das kommende Jahr zu stellen. Arbeiten Sie im weiteren Verlauf damit. Und noch ein kleiner Tipp am Rande: nennen Sie es vielleicht Mitarbeiterdialog statt Mitarbeiterjahresgespräch. Denn genau das sollte es sein. Ein Dialog. Auf Augenhöhe. Zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden. Für eine bessere Führungswelt und zufriedenere Mitarbeiter*innen.
Es ist wie mit den Müttern. Entweder lieben wir sie das ganze Jahr oder gar nicht. Entweder schätzen Sie Ihre Mitarbeiter*innen ganzjährig oder Sie sind an der falschen Position.
Ihre Verena Kiy